Klagen, Klagen über alles...

 

Bundesweite Kriminalisierung der ASten durch rechtskonservative Studierende greift wieder um sich

Schon in den 70er Jahren wurden die Allgemeinen Studierendenausschüsse (ASten) vom RCDS, der Ende der 60er seine Macht in den ASten verlor, beklagt. Der RCDS ging gegen linke ASten vor, die sog. „Allgemeinpolitik“ (Das soll die Politik sein, die keine Hochschulpolitik ist) machten, obwohl er, als er noch selber am Machthebel saß, fleißig aus den ASten „Allgemeinpolitik“ verbreitete (z. B. Fackelzüge zur Wiedervereinigung). Nun ist es wieder so weit: Einige rechtskonservative RCDSler, Reps, Burschenschaftler etc. haben schon, mangels eigener politischer Perspektiven innerhalb der Studierendenschaften, Maulkörbe (Einstweilige Verfügungen zur Unterlassung politischer Stellungnahmen, „die nicht unmittelbar und spezifisch hochschulbezogen“ sind) gegen die ASten in Münster, Bonn und Wuppertal erwirkt. [i] In Gießen, Bremen und Marburg sind solche Maulkorbverfahren anhängig. In Münster sind in diesem Rahmen schon 18 Zwangsgeldverfahren anhängig (gewesen), in Bonn eins. [ii]

 

Die Rechtsgrundlage

 

Laut herrschender Rechtsprechung gelten die verfassten Studierendenschaften (VSen) als sog. Zwangsverbände. Studierende würden sich zwar freiwillig zwecks Studium an den jeweilige Hochschule immatrikulieren, in den Verband Studierendenschaft würden sie aber erst eine „logische Sekunde“ (Andreas Keller) später und deshalb unter Zwang integriert. Die Studierendenschaften sind zwar gesetzlich in den Landeshochschulgesetzen und demokratisch durch alljährliche Parlamentswahlen legitimiert, werden deshalb aber noch lange nicht als integrativer Teil der Hochschule angesehen.

 

So könne die verfasste Studierendenschaft auch nicht als Interessenverband, sondern nur als Staatsorgan gesehen werden. Aber als Staatsorgan, obwohl politisch von jeglichen anderen (Staats-) Organen unabhängig, könne dieser keine allgemeinen Grundrechte (Meinungsfreiheit, Lernfreiheit etc.) zuerkannt werden. Vielmehr könne die verfasste Studierendenschaft als Zwangs- und Staatsorgan die Grundrechte ihrer Mitglieder verletzen (Vor allem Art. 2 (1) „Freie Entfaltung der Persönlichkeit“), sobald der gesetzliche Kompetenzrahmen [iii] überschritten wird (Grundrechte als Rechtsschutz des Bürgers/der Bürgerin gegenüber dem Staat).

 

Desweiteren könne den verfassten Studierendenschaften gesetzlich auch nur ein Kompetenzrahmen verliehen werden, der im „öffentlichen Interesse“ und studierendenspezifisch ist. Das politische Mandat [iv] im Gegensatz zur Förderung der politischen Bildung falle aber nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts [v] nicht darunter.

 

Die Kriminalisierungen am Beispiel des AStA der Uni Münster

 

Schon im September 1994 [vi] lag der erste Maulkorb gegen den AStA der Uni Münster vor. Dieser untersagte dem münsteraner AStA aber nicht nur politische Stellungnahmen, sondern gleich auch die Förderung der politischen Bildung. [vii] Im Universitätsgesetz NRW sei die Förderung der politischen Bildung nicht als Aufgabe, sondern als Leitlinie verankert. Die Förderung der politischen Bildung wird nicht im Aufgabenkatalog (§ 71 (2)), sondern ein Absatz später (§ 71 (3)) genannt. Diese Rechtsprechung scheint das Oberverwaltungsgericht jetzt zwar revidiert zu haben, im Maulkorb gegen den wuppertaler AStA vom 23.1.1997 [viii] werden dem AStA zwar politische Stellungnahmen untersagt, aber die Förderung der politischen Bildung bleibt als Aufgabe bestehen. Hintergrund des damaligen münsteraner Beschlusses war eine Satire über (gegen) die RAF [ix], die bundesweit Aufsehen erregte (bis zur Bild-Zeitung: „Rohwedder-Witwe weint“). Es hieß einhellig: der AStA der Uni Münster verunglimpfe die Opfer der RAF! In der damaligen Zeit schien das OVG dem AStA seinen Kompetenzrahmen so weit wie irgend möglich abschnüren zu wollen.

 

In sogenannten Zwangsgeldverfahren [x] wird seitdem vor Gericht ausgehandelt, was denn nun unter legitimer Hochschulpolitik und nicht legitimer „Allgemeinpoltik“ zu verstehen sei:

 

Schon im Dezember 1995 sah sich das selbe Gericht genötigt, den restriktiven Maulkorbbeschluß in einem der ersten Zwangsgeldverfahren teilweise zu revidieren: In diesem Verfahren gegen einen Artikel über „Das Pogrom von 1938“ [xi], der die Geschichte der Reichspogromnacht an der Uni Münster und in der Gesellschaft im Allgemeinen aufarbeitete und gegen Faschismus aufrief, beschloß das Gericht pro AStA. Hochschulpolitische Vorgänge müßten auch in die „Allgemeinpolitik“ eingebettet werden können (Brückenschlag).

 

Diese liberale Rechtsprechung verließ das Gericht aber ein Jahr später schon wieder: Im Herbst 1996 beschloß das Gericht in zwei weiteren Verfahren [xii] gegen den AStA. Zum einen war ein Beschluß des Studierendenparlaments [xiii], der die Kriegspropaganda des türkischen Fernsehsenders TRT-INT verurteilte, weil diese das Zusammenleben der türkischen und kurdischen Studierenden störe, und zum zweiten waren zwei sozialkritische Gedichte [xiv], die die restriktive Abschiebepraxis thematisierten, nach Meinung des Gerichts „Allgemeinpolitik“.

 

Der Studierendenparlamentsbeschluß hätte zwar ein „hochschulpolitisches Mäntelchen“, dieses Mäntelchen sei aber nur herangezogen worden, um „Allgemeinpolitik“ zu legitimieren. Denn: Dieser Zusammenhang zwischen dem Zusammenleben der türkischen und kurdischen Studierenden und der Kriegspropaganda sei nicht „real“ (Nur das damals im duisburger Studierendenparlament türkische und kurdische Studierende beinahe aufeinander losgegangen wären)!

 

Auch die Gedichte eines Soziologiestudenten seien „Allgemeinpolitik“ im - diesmal - kulturellen Mäntelchen (Eine künstlerische Form (Gedicht) lasse nicht gleich die Schlußfolgerung zu, es sei Kunst).

 

In letzterem Verfahren (Gedichte) hat der AStA der Uni Münster jetzt auch den Gang zum Bundesverfassungsgericht eingeschlagen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat bis jetzt den Studierendenschaften in keiner Hinsicht Grundrechte zugesprochen. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß das Bundesverfassungsgericht den Studierendenschaften im Rahmen der Interessenswahrnehmung im gesetzlichen Kompetenzrahmen, nicht allgemein, ihnen die Grundrechtsfähigkeit zusprechen wird.

 

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesteht öffentlich-rechtlichen Körperschaften zwar keine Grundrechte zu, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen [xv]. In diesem Fall geht es aber um die kulturellen Belange der Studierenden (§ 71 (2) 4 Universitätsgesetz). Es handelt sich hier also vielmehr um die Wahrnehmung der Interessen der Studierenden und nicht um die Ausübung öffentlicher Aufgaben. In diesem Rahmen sind Zwangsverbände grundrechtsfähig [xvi]. Diese Grundrechtsfähigkeit muß dem Zwangsverband Studierendenschaft genauso zugestanden werden.

 

Mit einer Entscheidung ist aber erst in ein bis zwei Jahren zu rechnen.

 

Die Justiz als Instrument der politischen Zensur

 

Nicht nur die Studierenden, die dieses eingangs beschriebene Rechtskonstrukt als politisches Instrument nutzen (Es klagen schließlich diejenigen, denen die Politik der ASten nicht gefällt), auch die Gerichte selber nutzen dieses Konstrukt als politisches Instrument.

 

Wie vorher aufgezeigt, nutzen die Richter (wie der Kläger so der Richter: beide sind nach meinen Erkenntnissen ausschließlich männlichen Geschlechts) ihre Rechtsprechung nicht nur, um den juristischen Rahmen der politischen Arbeit der ASten, sondern auch, um den politischen Rahmen abzustecken.

 

Je nach politischen Inhalts der umstrittenen Veröffentlichungen legen die Gerichte ihre Gesetze aus: Werden so gesellschaftskonforme Themen wie der Artikel zur Reichspogromnacht aufgegriffen, legen diese das Recht zu Gunsten des Themas aus, werden umstrittene Themen, wie z. B. Türkei/Kurdistan und die restriktive Abschiebepraxis in Deutschland, aus einer Perspektive, die nicht den gesellschaftlichen Konsens wiedergibt, erörtert, legen diese ihr Recht gegen die Studierendenschaften aus.

 

So hat sich der staatlich organisierte Teil der Gesellschaft ein Organ geschaffen, diese sog. Zwangsverbände zu disziplinieren. Wird der politische Diskurs innerhalb der Studierendenschaften doch arg zu gesellschaftskritisch, besorgen irgendwelche, den ASten oppositionell gesinnten Studierenden die Klageflut gegen diese und die Disziplinierungsmechanismen (Gerichte) können ihres Amtes walten. So einfach läßt sich ein gesellschaftskritischer Diskurs aus den sog. Zwangsverbänden heraus unterbinden und die Auseinandersetzung mit den herrschenden politischen „Autoritäten“ bremsen!

 

Im Lande NRW tut sich was: Eine Gesetzesnovelle im Kommen

 

Nach den Beschlüssen des letzten Jahres gegen Bonn und Wuppertal ist jetzt endlich auch eine Gesetzesinitiative zur Unterstützung der nordrhein-westfälischen ASten von den Grünen und der SPD am 29. Januar in den Landtag eingebracht worden [xvii]. Diese wird voraussichtlich im Sommer zum Abschluß gebracht.

 

So werden auf zwei Ebenen die Kompetenzen der ASten erweitert:

 

1. Der hochschulpolitische Rahmen wird erweitert:

 

Es werden zum einen die Aufgaben der Hochschulen (§ 3 Universitätsgesetz (UG)/Fachhochschulgesetz (FHG)) erweitert. Die Hochschulen sollen nicht nur „der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften durch Forschung, Lehre und Studium“ dienen, sondern „dadurch [auch] am Erhalt des demokratischen und sozialen Rechtsstaates“ mitarbeiten und „sich im Bewußtsein ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt mit den möglichen Folgen einer Nutzung ihrer Forschungsergebnisse auseinandersetzen.“ (§ 3 UG, § 3 FHG ist ähnlich formuliert). Dieser Rahmen der Aufgaben der Hochschulen erhält auch Wirkung für die Studierendenschaften.

 

Zum zweiten wird auch der hochschulpolitische Kompetenzrahmen der VSen im § 71 (2) UG (Aufgaben der VSen) erweitert: Die Studierendenschaften sollen ihre Belange „in Hochschule und Gesellschaft“ wahrnehmen [xviii]. Es wird also explizit der Einfluß der Gesellschaft auf die Studierenden gesetzlich anerkannt.

 

2. Die Förderung der politischen Bildung wird explizit als Aufgabe verankert. Was vor allem die Förderung der politischen Bildung beinhaltet - und das ist neu für ein Landeshochschulgesetz -, wird im Gesetzentwurf ausführlich erörtert: Zu diesem Zwecke können die Studierendenschaften „auch die Diskussion und Veröffentlichung zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen fördern.“ Diese seien aber „von Verlautbarungen der Studierendenschaft und ihrer Organe deutlich abzugrenzen.“

 

Was bringt die Novelle?

 

Diese Novelle bringt den ASten zwar nicht die Möglichkeit der politischen Stellungnahme für die Studierendenschaften, aber verankert die Förderung der politische Bildung auch für Münster wieder [xix] im Gesetz und erweitert den Kompetenzrahmen doch schon immens: So sollten viele Stellungnahmen, die bisher den Gerichten als Grundlage dienten, gegen ASten vorzugehen, mit inkrafttreten dieser Novelle gesetzeskonform sein. Gemeint sind Stellungnahmen, wie z.B. die gegen den Fernsehsender TRT-INT, die gegen Castor-Transporte durch Hochschulstädte oder die gegen den Zapfenstreich zum 40. Geburtstag der Bundeswehr im bonner Hofgarten (Er störte den Hochschulbetrieb durch Lärm und huldigte dem Militarismus). Denn was wären sonst die Belange der Studierenden in der Gesellschaft. Legalisiert werden also Stellungnahmen, die gesellschaftliche Themen aufgreifen und deren Einfluß auf die Hochschule oder Studierendenschaft darstellen. [xx] Legitim sollte also jede Stellungnahme sein, die einen Hochschulbezug aufweist!

 

Leider wird aber weiterhin die Entscheidungshoheit über die Auslegung des Kompetenzrahmens bei den Gerichten liegen. So werden auch bald nach der Verabschiedung des neuen Gesetzesentwurfs die Gerichte über die Auslegung des Gesetzes entscheiden. Wie diese dieses Gesetz auslegen, wird sich also noch zeigen. Es wird aber auf jeden Fall wieder, wie schon immer, ein Politikum werden, denn je kontroverser und „linker“ die Aussagen der ASten sein werden, desto restriktiver wird die Rechtsprechung aussehen und je konsensfähiger die Aussagen sein werden, desto liberaler wird sie aussehen!

 

Die Gerichte werden also weiterhin als Disziplinierungsmechanismen dienen!

 

Jan Große Nobis studiert Neue Geschichte, Soziologie und Pädagogik Magister und ist Referent für das politische Mandat im AStA der Uni Münster

 

[i] Münster: OVG NW 25 B 1507/94; Bonn: VG Köln 6 L 28/96; Wuppertal: OVG NW 25 B 1768/96

 

[ii] Zu den Grundlagen auch: Forum Wissenschaft, 4/94, Andreas Keller, Neues aus der Zwangskörperschaft, S. VII ff.

 

[iii] In den meisten Landeshochschulgesetzen, die die VS verankern: Wahrnehmung der hochschulpolitischen, fachlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Belange und die Förderung der politischen Bildung der Studierenden.

 

In den LHGs Berlin, Bremen und Niedersachsen wird der Kompetenzrahmen ein wenig erweitert: Wahrnehmung der Belange der Studierenden in Hochschule und Gesellschaft.

 

[iv] In Abgrenzung zur Förderung der politischen Bildung: Das politische Mandat würde den VSen politische Stellungnahmen erlauben; im Rahmen der politischen Bildung dürfen die VSen den politischen Diskurs in der Studierendenschaft fördern und politische Stellungnahmen Anderer dokumentieren.

 

[v] BVerwGE Bd. 59, S.240ff.

 

[vi] Die weitere Welle von Maulkörben begann erst letztes Jahr und wird dieses Jahr fortgeführt!

 

[vii] OVG NW 25 B 1507/94

 

[viii] OVG NW 25 B 1768/96

 

[ix] Links vorm Schloß, Zeitung des AStA Uni Münster 4/94

 

[x] Diese Verfahren dienen der Überprüfung, ob ein AStA die Auflagen des Maulkorbs einhält. Falls nicht, wird dieser mit einem Zwangsgeld zur „Räson“ gezogen.

 

[xi] LvS, 9/94

 

[xii] OVG NW 25 E 722/96 und OVG NW 25 E 723/96

 

[xiii] Veröffentlicht im Semesterspiegel, Zeitung der Studierenden der Uni Münster, Nr. 286, Mai 1995

 

[xiv] Sputnik, Fachschaftszeitung Soziologie, Nr. 1, April/Mai 1995

 

[xv] BVerfGE 61, 82, S. 100 ff.; BVerfGE 68, 193, S. 205

 

[xvi] BVerfGE 70,1 , S. 20

 

[xvii] Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 12/1708

 

[xviii] Vgl. die LHGs von Berlin, Bremen und Niedersachsen

 

[xix] Eine Menge der politischen Arbeit kann über die Förderung der politische Bildung laufen

 

[xx] Die Rechtsprechung geht bisher davon aus, daß von Hochschul- oder Studierendenschaftsthemen ein „Brückenschlag“ zur sog. Allgemeinpolitik hergestellt werden darf, aber nicht umgekehrt (VG Münster 1 M 17/96, nicht rechtskräftig)